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ADS - das kreative Chaos

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ADS - das kreative Chaos
Walter Beerwerth
Verlag
Herder
ISBN-Nummer
978-3-451-06387-9

Losgelöst von der defizit-orientierten Sichtweise der Mediziner macht sich Walter Beerwerth Gedanken über ADS. Mit erfrischender Respektlosigkeit hinterfragt er die Normen, die seit Generationen unsere Gesellschaft prägen und zeigt deren fatale Folgen für ADSler auf. Nebenbei erfahre ich endlich, was das Häschen mit dem Gewehr im Struwwelpeter zu suchen hat - eine Frage, die mich seit meiner frühen Kindheit beschäftigt.

ADS - das kreative Chaos heißt sein neuestes Buch. Ohne ein Jäger-Farmer-Märchen zu bemühen schreibt er wohlwollend, aber nicht beschönigend über die Wesenszüge und Eigenschaften, die ADS ausmachen. Das Buch besteht aus kurzen Abschnitten, selten länger als zwei oder drei Seiten. Man muss sie auch nicht der Reihe nach lesen. Das kommt meinem sprunghaften Wahrnehmungsstil sehr entgegen.

Der Autor kennt ADS aus eigener Betroffenheit und er hat durch sein Engagement in der Selbsthilfe Einblick in die vielen, teilweise widersprüchlich erscheinenden Varianten, die diese Veranlagung hervorrufen kann. Er bringt es mit einem kurzen Satz auf den Punkt: "ADS ist ein Chamäleon." Immer wieder stößt man in diesem Buch auf Hinweise und Spuren, die zu den bekannten Begleiterkrankungen führen.

Der Leser erfährt, wie ADSler denken und fühlen, was ihr Leben erschwert, aber auch, was sie anderen voraus haben. Es ist spannend zu lesen, was Betroffene alles tun oder in Kauf nehmen, um sich wenigstens zeitweise von ihrem Leidensdruck zu befreien. Angst, Schmerz, Verliebtheit, Lust und auch alle anderen Gefühle treten bei ADS wesentlich intensiver auf und haben mehr Nebenwirkungen.

Ich verstehe endlich, wie Mobbing funktioniert und erfahre, warum zu wenig aggressives Verhalten das begünstigt. Dann geht es noch ein Stück tiefer den Abgrund hinab: ADS im Krieg, der Nutzen von Wut, der Zweck der Trauer. Der Kombination von ADS und Depression widmet Beerwerth viel Aufmerksamkeit und beschreibt Unterschiede zwischen beiden, aber auch Gemeinsamkeiten. Seine Erfahrungen mit Psychotherapien sind nicht sehr ermutigend. Er widmet den Gründen, warum sie scheitern können und den daraus resultierenden Empfehlungen viele Seiten.

Alles in allem ist dieses Buch ein Muss für jeden, der helfenden Umgang mit ADS-Betroffenen hat und gehört in die Bücherliste jeder Selbsthilfegruppe für Erwachsene. Den professionellen Helfern möchte ich das 17. Kapitel, das sich kritisch, aber durchaus konstruktiv mit Therapien auseinandersetzt, wärmstens ans Herz legen.

Sabine Hinkel