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Zauberwürfel mit blauem Hintergrund

ADHS und Sucht

von Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz, Dr. Klaus Skrodzki

Was ist Sucht?

Zuerst wollen wir eingrenzen, was wir unter Sucht verstehen, damit wir wissen, wovon wir überhaupt reden. Wissenschaftler sprechen einer Sucht folgende typischen Eigenschaften zu: Unwiderstehliches Verlangen: Man hat ein übermächtiges, unwiderstehliches Verlangen danach, eine Substanz (das Suchtmittel) zu gebrauchen oder etwas Bestimmtes unbedingt zu tun.
Schädliche Folgen: Die Suchtmittel können verschiedene schädliche Folgen haben.
Sie können schädlich für den Körper, aber auch für die Psyche sein (körperliche und psychische Folgen). Oder sie wirken sich darauf aus, wie man mit seinen Mitmenschen und Freunden umgeht und mit ihnen zusammenlebt (soziale Folgen). Kontrollverlust: Man kann sich nicht mehr kontrollieren. Man weiß: Das, was man tut, hat ungünstige oder sogar schädliche Folgen für einen selbst. Trotzdem kann man nicht damit aufhören.
Entzug: Man verhält sich auffällig, wenn man das Suchtmittel nicht mehr erreichen kann. Man wird nervös, unzufrieden, manchmal auch aggressiv und wirkt auf andere getrieben. Toleranzentwicklung: Mit der Zeit benötigt man immer mehr von dem Suchtmittel, um noch eine Wirkung zu spüren. Einengung auf den Konsum des Suchtmittels: Alle Zeit und Anstrengung werden nur noch dafür eingesetzt, dem Verlangen nachzugeben oder die Substanz zu konsumieren. Andere Lebensinhalte vernachlässigt oder ignoriert man. Aber um sich vor einer Sucht und ihren Folgen zu schützen, muss man wissen, was überhaupt Suchtmittel sind und wo man mit ihnen in Berührung kommen könnte. Auch wenn man betroffen ist, hilft es, sich damit mehr auseinanderzusetzen.

 

Was hat das alles mit ADHS zu tun?

Jeder kann süchtig werden. ADHS-Betroffene sind da keine Ausnahme, sondern haben eher ein höheres Risiko. Es gibt nämlich einige Besonderheiten, die ADHS-Betroffene kennen sollten. Manche der Suchtmittel wirken im Gehirn ähnlich wie ADHS Medikamente. Deshalb kann ein Patient durch die Einnahme von Suchtmitteln den Eindruck haben, dass seine ADHS-Beschwerden zurückgehen und er sich somit selbst behandelt. Ungeregelter Konsum von Suchtmitteln ist aber in vieler Hinsicht sehr verschieden von einer Behandlung mit Medikamenten. Diese Medikamente werden nur in ganz bestimmter Menge(Dosis) angewandt und können jederzeit wieder abgesetzt werden. Suchtmittel werden weder überwacht noch durch Gesetze kontrolliert oder unter ärztlicher Aufsicht eingenommen. Manche sind sehr leicht zu bekommen und werden sogar beworben. In der Gruppe kann sich manch ein jugendlicher ADHS-Betroffener nicht so gut abgrenzen, wenn Suchtmittel angeboten werden. Deshalb ist es für ADHS-Betroffene noch wichtiger, über die Risiken Bescheid zu wissen, besonders dann, wenn sie nicht in Behandlung sind.
Den typischen ADHS-Betroffenen gibt es nicht, so dass gültige Aussagen über den Einzelnen nicht möglich sind. Generell hat man aber als ADHS-Betroffener ein höheres Risiko, eine Sucht zu entwickeln; insbesondere wenn man nicht behandelt wird oder nicht weiß, dass man betroffen ist. Die Verhaltensweisen, die eine Sucht begünstigen (Spieltrieb, Suche nach Glück), können ausgeprägter sein. Die Fähigkeit vieler ADHS-Betroffenen, sich auf etwas Gewolltes besonders gut fokussieren zu können (Hyperfokussierung), begünstigt manche Verhaltenssüchte. Als ADHS-Betroffener muss man also sehr wachsam sein.


Welche Suchtmittel gibt es?

Man unterscheidet zwischen dem Verlangen nach Substanzen (die sogenannte substanzgebundene oder auch stoffgebundene Sucht) und dem Verlangen, ein bestimmtes Verhalten auszuführen (Verhaltenssucht oder auch nicht-stoffgebundene Sucht).
 

Suchtsubstanzen

Koffein
Koffein ist das „Aufputschmittel“ in Kaffee, Cola und Energy-Drinks. Bei einem Missbrauch von Koffein oder Cola bestehen Auswirkungen auf Herz und Kreislauf. Außerdem kann zu viel Koffein Magenbeschwerden verursachen.

Alkohol
Die Gefahr und die Risiken, die von einem Zuviel an Alkohol ausgehen, sind zwar allgemein bekannt, werden aber auch in der Öffentlichkeit zu wenig beachtet oder verharmlost. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Jugendliche gemeinsam Alkohol trinken. Dann kann es leicht zum „Kampftrinken“ und zu „Alkohol-Flatrate-Partys“ kommen. Alkoholvergiftungen sind leider allzu oft die sofortige Folge. Dauerhafter, hoher Alkoholkonsum hat körperliche und psychische Folgen, die sich im weiteren Lebensverlauf zeigen. Alkohol sowie Zigaretten können auch Einstiegsdrogen für härtere Drogen sein. Das heißt, man beginnt Alkohol zu trinken, steigert den Konsum und wenn einem auch das nicht mehr genügt, nimmt man andere, noch gefährlichere Drogen.

Nikotin
Auch die Wirkungen von Nikotin sind bekannt. Das Suchtpotenzial von Nikotin wird oftmals völlig unterschätzt. Nikotin wirkt im Gehirn ähnlich wie Dopamin und deshalb auch ähnlich wie ADHS-Medikamente. Es macht ruhiger, gelassener, ausgeglichener, konzentrierter und stabilisiert die Stimmung. Nikotin steigert die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit und wirkt appetitmindernd. Die fatalen Wirkungen auf Lunge und das Herz- Kreislaufsystem werden vergessen oder ignoriert.

Cannabis, THC
Cannabis ist eine häufig konsumierte Droge, weil sie entspannend und ausgleichend wirkt. ADHS- Betroffene können sich dadurch geduldig und gelassen fühlen und den Eindruck haben, behandelt zu sein. Allerdings führt THC zu Gleichgültigkeit und Passivität und verstärkt damit Probleme mit Selbstmotivation und Durchhaltevermögen. Cannabis kann massive Angstzustände und Psychosen auslösen, die schwer zu behandeln sind. Diese Psychosen können einen verhängnisvollen Verlauf nehmen, chronisch werden und eine lang andauernde medikamentöse Behandlung notwendig machen.

Medikamente
Es gibt eine Reihe von Medikamenten mit Suchtpotential. An vorderer Stelle stehen die Beruhigungsmittel (Tranquillizer wie Valium, Tavor), die nicht selten vom Arzt gegen Unruhe und Stimmungsschwankungen auch bei ADHS eingesetzt werden, aber nicht auf Dauer verordnet werden sollten. Weiterhin haben alle Schmerzmittel ein Suchtpotenzial. Menschen mit einer ADHS können sehr schmerzempfindlich sein und deshalb dazu neigen, Schmerzmittel zu missbrauchen.

Kokain
Kokain wirkt normalerweise erregend auf das Gehirn – ähnlich wie Dopamin. Bei Menschen mit einer ADHS wirkt Kokain hingegen oft genau entgegengesetzt (paradox) – nämlich beruhigend, sedierend und ausgleichend. Es macht frühzeitig Abhängig und führt beim „Schnupfen“ (Einnahme über die Nase) zu schweren Schleimhautschäden.

Opiate
Opiate wie Heroin, Opium, Methadon und Codein besitzen unter allen Drogen das höchste Abhängigkeitspotenzial. Alle diese Mittel haben eine schmerzstillende Wirkung, Euphorie tritt in der Regel nur bei Missbrauch auf. Zusätzlich besteht besonders durch intravenöse Injektionen und gemeinsamen Spritzengebrauch die Gefahr der Übertragung von AIDS, Hepatitis und zahlreichen anderen Erkrankungen.

Ecstasy, Speed, Crystal Meth
Diese Substanzen werden auf dem Schwarzmarkt in völlig unterschiedlichen Stärken und mit zahlreichen undefinierten Beimischungen vertrieben. Daher ist die Wirkung nicht vorhersehbar, auch wenn sie grundsätzlich der von Stimulanzien, die bei der Therapie von ADHS eingesetzt werden, ähnlich ist. Psychotische Reaktionen können bei jeder Einnahme auftreten, unabhängig von Dosis und Häufigkeit. Eine Überdosis kann zu schweren gesundheitlichen Schäden und sogar zum Tode führen. Auch bei kurzfristigem Gebrauch entwickeln sich schnell schwere Abhängigkeit und körperliche Schäden, insbesondere Gehirnschäden. Noch höher werden die Risiken, wenn diese Substanzen mit anderen Drogen kombiniert werden.

LSD
LSD ist eine künstlich hergestellte Droge, die stark halluzinogen wirkt. Sie birgt ein hohes Risiko, massive Angstzustände und Psychosen auszulösen. Auch noch Monate nach dem Konsum kann es plötzlich zu psychoseartigen Anfällen, extremen Angstzuständen und Panikattacken kommen (sogenannte Flashbacks).

Kräutermischungen
Kräutermischungen werden in Läden auch unter den Namen „Räuchermischungen“ oder „Badesalze“ angeboten. Im Internet findet man sie ebenfalls unter fantasievollen Namen. Es handelt sich meist um Kräuter, die mit künstlich hergestellten Cannabis-ähnlichen Substanzen (Cannabinoiden) oder Amfetaminen versetzt sind. Bei diesen Mischungen ist nicht angegeben, welche Wirkstoffe enthalten sind. Die Mischungen sind immer wieder anders zusammengesetzt, enthalten immer wieder andere, zum Teil auch unerforschte Substanzen in unbekannten Mengen. Die Drogenmengen können innerhalb einer Portion extrem schwanken, sodass die Wirkung nicht einschätzbar ist. Deshalb ist das Risiko von Verwirrtheitszuständen, Selbstüberschätzung, aggressiven Handlungen, Benommenheit, Orientierungslosigkeit und Kreislaufkollaps bis zur Bewusstlosigkeit schon bei kurzfristiger Einnahme sehr hoch.

Süßigkeiten
Zucker kann die Serotoninproduktion im Gehirn anregen und eine kurze Zeit ein bisschen glücklicher machen. Viele Menschen haben die Erfahrung, dass Schokolade glücklich machen kann. Bei manchen Menschen entsteht aber eine regelrechte Gier nach Süßigkeiten, die eindeutig Suchtcharakter hat.

Essstörungen
Aber nicht nur der Hunger nach Süßigkeiten prädisponiert zur Sucht. Wir finden bei ADHS-Betroffenen gehäuft Essstörungen. Im Sinne einer Magersucht(Anorexia nervosa), einer Bulimie oder einer Esssucht. Hier fungiert das Essen an sich als Suchtmittel, wobei nach dem ganz oder gar nicht Prinzip entweder überhaupt keine Nahrung aufgenommen wird (Magersucht) oder aber exzessive Mengen (Bulimie oder Esssucht).

 

Verhaltenssüchte


Arbeitssucht
Von Arbeitssucht spricht man, wenn die Arbeit nicht vernünftig dosiert werden kann. Die Sucht besteht im Bedürfnis nach Erfolg und sozialer Anerkennung. Der Arbeitssüchtige (Workaholic) arbeitet zeitweise ununterbrochen, findet kein Ende und fühlt sich wie im Rausch. Eine sinnvolle Entspannung ist nicht mehr möglich. Als Folge der Arbeitssucht wird oft die Gesundheit vernachlässigt, es kann sich ein Burnout-Syndrom einstellen und Depressionen, körperliche Beschwerden und Angstzustände können sich entwickeln. Ohne Entspannung sind irgendwann die Energietanks des Körpers leer. Wenn dann keine Zeit gefunden wird, um aufzutanken, sich zu entspannen und Spaß zu finden, „steht der Motor still“, weil keine Energie mehr vorhanden ist. Eine weitere Folge von Arbeitssucht ist auch die Vernachlässigung sozialer Beziehungen und der Familie.

Sport
Man kann auch Sport so exzessiv betreiben, dass er zur Sucht wird. Alles andere wird vernachlässigt und das Leben auf die sportlichen Leistungen eingeengt. Indem man über die eigenen Grenzen hinausgeht, beutet man den Körper dabei rücksichtslos aus. Hyperfokussierung auf den Sport macht es leichter, alles andere zu vernachlässigen. Durch vermehrte Anstrengung, unter Umständen sogar mit Hilfe von Dopingmitteln, wird versucht die eigenen Leistungen zu steigern. Ein sportlicher Leistungseinbruch kann dann zum kompletten Zusammenbruch mit nachfolgender Orientierungslosigkeit führen.

Glückspiel
Manche Menschen suchen den ständigen Kick im Glücksspiel. Leichtsinn und Spielsucht können schnell in den finanziellen Ruin führen. ADHS-Betroffene sind durch ihren mitunter besonders ausgeprägten Spieltrieb oft anfälliger für eine Spielsucht. Gelegentliches Gewinnen spornt sie besonders an und verstärkt die Sucht erneut.


Computer, Video, Fernsehen
Der Gebrauch des Computers stellt für viele Menschen eine große Herausforderung dar. Viele können nicht mehr abschalten und verbringen oft mehr als acht Stunden täglich nicht arbeitsbezogen vor dem Computer.
Inhaltlich geht es vorrangig um (Rollen-)Spiele, wahlloses Internetsurfen oder den Austausch in sozialen Netzwerken. ADHS-Betroffenen geht es nicht anders, so können sie sich durch die Fähigkeit zur Hyperfokussierung noch leichter in einer virtuellen Welt und den dort angebotenen Möglichkeiten verlieren. Da loggt man sich mit einer bestimmten Fragestellung ins Internet ein und surft dann – das eigentliche Ziel längst aus den Augen verloren – stundenlang durch die virtuelle Welt. Auch eBay kann eine Falle sein, weil man viel Zeit damit verschwenden kann auf der dauernden Suche nach Schnäppchen. eBay kann so eine Mischung zwischen der ständigen Suche nach einem Sonderangebot und Spielsucht werden. 
Beobachten Sie sich beim Fernsehen, wie Sie die Fernbedienung gebrauchen! Ist es Ihnen möglich, nur eine Sendung zu schauen, oder haben Sie Angst, etwas zu versäumen, können nicht abwarten, bis der Werbespot vorbei ist, zappen sich durch die Programme, so dass Sie drei Filme gleichzeitig sehen? Haben Sie dann den Inhalt tatsächlich erfasst oder reimen Sie sich nur sehr oberflächlich die Geschichten zusammen?

Lesen und Musik
Auch in diesen Bereichen kann der ADHS-Betroffene in eine andere Welt abtauchen, ja sogar in einer anderen Welt über Tage leben, ohne viel um sich herum wahrzunehmen. Sie können dann auch alles andere vernachlässigen.

Kaufsucht, Kleptomanie, Sonderangebote
Auch Kaufen kann zur Sucht werden, das Haben und Besitzen wollen, die ständige Gier nach mehr. Hat man zu wenig Geld kann sich auch eine Stehlsucht (Kleptomanie) entwickeln. Eine solche Kleptomanie kann aber auch bei durchaus wohlhabenden Leuten entstehen, die durch das Stehlen sich den Kick und die Spannung suchen, das Knistern ob sie diesmal erwischt werden.

Messie (Vermüllungssyndrom)
Die Sucht des Aufhebens, des Nichtwegwerfenkönnens, die erschreckende Ausmaße, sogar bedrohliche gesundheitsschädliche Ausmaße annehmen, wenn ein Betroffener z.B. nicht mehr in der Lage ist, verschimmelte Lebensmittel und Müll zu entsorgen.


Fazit

Sowohl eine substanzbezogene Sucht als auch eine Verhaltenssucht sollte im Behandlungsplan für eine ADHS berücksichtigt werden.
 

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