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Nachteilsausgleich in Ausbildung und Studium

Ausbildung (entommen aus http://www.prueferportal.org/html/144.php) 

In § 65 Berufsbildungsgesetz ist geregelt, dass die Prüfungsordnungen für die Ausbildungsberufe die besonderen Verhältnisse der behinderten Menschen berücksichtigen sollen. Beispielhaft werden die Prüfungsdauer, die Zulassung von Hilfsmitteln und die Inanspruchnahme von Hilfsleistungen Dritter, wie z.B. Gebärdensprachdolmetscher, genannt.

Grundsätzlich gilt, dass durch die Gewährung von Nachteilsausgleichen die fachlichen-qualitativen Anforderungen an die Prüfungsteilnehmer/innen nicht verringert werden dürfen. Daher dürfen Abweichungen nicht den Inhalt der Prüfung betreffen. Im Umkehrschluss dürfen Prüfungsleistungen behinderter Prüfungsteilnehmer/innen nicht besser beurteilt werden als bei anderen Prüflingen, um die Chancengleichheit aller zu wahren.

Der Antrag auf Nachteilsausgleich sollte von dem Prüfungsteilnehmer/ der Prüfungsteilnehmerin rechtzeitig, jedoch spätestens mit der Anmeldung zur Abschlussprüfung bzw. dem Antrag auf Prüfungszulassung erfolgen. Hier sollte der Prüfling bereits die für sie/ihn geeigneten Nachteilsausgleiche konkret darlegen und begründen. Beruft sich ein Prüfling erst nachdem er die Prüfung bereits absolviert hat auf seine Behinderung, so kann die Prüfung nicht nachträglich neu bewertet werden.
 
Dem Antrag sind je nach Lage des Einzelfalls geeignete Nachweise beizufügen, um dem Prüfungsausschuss eine zügige und angemessene Entscheidung über die jeweiligen Prüfungsmodifikationen zu ermöglichen.
 
Ein geeigneter Nachweis kann beispielsweise sein:

  • eine ärztliche Bescheinigung / ein psychologisches Gutachten
  • eine Stellungnahme des Ausbildungsbetriebes und / oder
  • der Berufsschule / eines Bildungsträgers
  • die Kopie des Schwerbehindertenausweises (sofern vorhanden).

Die ärztliche Bescheinigung sollte nach Möglichkeit Aufschluss darüber geben, welche Prüfungsmodifikationen im Einzelfall erfolgen sollen.
 
Im Rahmen ihrer Stellungnahme sollten der Ausbildungsbetrieb und die Berufsschule bzw. der Bildungsträger die aus ihrer Sicht erforderlichen und geeigneten Nachteilsausgleiche gemäß den jeweiligen Prüfungsanforderungen beschreiben und begründen.

 Bei Nachteilsausgleichen handelt es sich stets um eine bedarfsgerechte Einzelfallentscheidung der zuständigen Stelle und des Prüfungsausschusses über die individuelle Gestaltung von Bedingungen, die dem behinderten Prüfling das Absolvieren der Prüfung unter gleichwertigen Bedingungen ermöglichen soll.

Unabhängig vom Berufsfeld und der Art der Behinderung ist die am häufigsten beantragte und genehmigte Modifikation die Zeitverlängerung. Ebenfalls sehr oft werden Abwandlungen, wie häufigere Pausen, die Durchführung der Prüfung am eigenen Arbeitsplatz oder auch das Mitbringen einer Begleitperson zur psychischen Unterstützung in Anspruch genommen.
 
Erscheinungsbilder von Lernbehinderungen können u.a. eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie), eine Rechenschwäche (Dyskalkulie) oder auch eine Grammatikschwäche (Dysgrammatismus) sein. Auch bei diesen Prüfungsteilnehmer/innen kann der behinderungsbedingte Nachteil ausgeglichen werden, indem die Prüfung z.B. in gewohnter Umgebung stattfindet, eine vertraute Person anwesend ist oder die Aufgabenstellung in der Form modifiziert wird, dass statt der schriftlichen eine mündliche Prüfung stattfindet.
 
Die Gestaltung der Prüfungsbedingungen bei psychisch erkrankten Prüflingen kann sich auf verschiedene Aspekte beziehen wie z.B. die Anwesenheit einer vertrauten Person, welche je nach Bedarf auch die Prüfungsaufgaben stellt. Auch die Verlängerung der Prüfungszeit oder eine Einzelprüfung in einem gesonderten Raum stellt einen zulässigen Nachteilsausgleich dar. Oft wirken sich eingehende Vorgespräche zum gegenseitigen Kennenlernen und damit zur Schaffung eines verbesserten Vertrauensverhältnisses / Prüfungsklimas positiv auf das Wohlbefinden des Prüflings aus.
 
Im Bertelsmann Verlag ist zum Thema „Nachteilsausgleich für behinderte Auszubildende“ ein Handbuch für die Ausbildungs- und Prüfungspraxis erschienen.
Das Handbuch bietet eine Fülle von Informationen zu Behinderungsarten und geeigneten Formen des Nachteilsausgleichs. Fallbeispiele zeigen konkrete Lösungsmöglichkeiten und helfen so bei der praktischen Umsetzung des gesetzlichen Gebots. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf psychischen Behinderungen und Beeinträchtigungen. https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/id/7407

Weitere Informationen können Sie auch auf der Internetseite des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) im Artikel „Nachteilsausgleich für behinderte Menschen in der dualen Berufsausbildung“ als Download nachlesen.

 

Studium

Da Hochschulrecht Landesrecht ist, finden sich die diesbezüglichen Regelungen in den jeweiligen Landeshochschulgesetzen. Eine Übersicht zu allen Landesregelungen findet sich auf der Internetseite des Deutschen Studentenwerkes unter http://www.studentenwerke.de/de/content/landesrechtliche-regelungen-nachteilsausgleiche-im-studium
Die Universitäten müssen diese Vorgaben in ihren Prüfungsordnungen umsetzen. In der Praxis ist dies jedoch leider bislang nicht flächendeckend erfolgt.

Das Deutsche Studentenwerk führt auf seiner Internetseite unter http://www.studentenwerke.de/de/content/nachteilsausgleich-antragsverfahren-und-nachweise

aus, dass ein Anspruch auf Nachteilsausgleich sich begründet durch

  1. das Vorliegen einer beglaubigten gesundheitlichen Beeinträchtigung oder amtlich festgestellten Behin­derung und
  2. den Nachweis, wie sich die Beeinträchtigung bzw. Behinderung im Studium auswirkt.

1. Behinderungen und chronische Krankheiten

Um einen Anspruch auf Nachteilsausgleich geltend machen zu können, müssen Studierende eine längerfristige Beeinträchtigung nachweisen, die die Kriterien einer Behinderung erfüllt. Dabei orientieren sich die Hochschulen im Allgemeinen an der Definition von Behinderung des § 2 Absatz 1 Sozialgesetzbuch (SGB IX). Zunehmend wird auch auf den Behinderungsbegriff der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) Bezug genommen.
Studieren mit Behinderung- gehöre ich dazu?

Studierende mit Bewegungs- und Sinnesbeeinträchtigungen können genauso wie Studierende mit länger andauernden, chronisch-somatischen oder psychischen Er­krankungen, mit Teilleistungsstörungen wie Legasthenie, mit Autismus oder anderen längerfristigen Beeinträchtigungen einen Anspruch auf Nachteilsausgleich bei der Stu­dienorganisation und in Prüfungssituationen haben.

Eingeschlossen sind jeweils auch chronische Krankheiten mit episodischem Verlauf, also beispielsweise Rheuma, Epilepsie, Multiple Sklerose oder Allergien.

Bei vielen Studierenden wirken sich zwei oder mehr Beeinträchtigungen gleichzeitig studienerschwerend aus. Bei knapp zwei Drittel der Studierenden ist für Dritte die Beeinträchtigung auch nach längerer Zeit nicht wahrnehmbar. Das ergab 2012 die Umfrage „beeinträchtigt studieren“.

Wichtig: Um Nachteilsausgleiche beantragen zu können, muss die Beeinträchti­gung nicht amtlich als (Schwer-) Behinderung festgestellt sein. Nur 8 Prozent der beein­trächtigten Studierenden verfügt über einen Schwerbehindertenausweis. Auch das ergab die Umfrage „beeinträchtigt studieren“.

2. Nachweis der Studienerschwernis

Eine beglaubigte gesundheitliche Beeinträchtigung oder amtlich festgestellte Behin­derung allein begründet noch keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich. Es kommt entscheidend darauf an, wie sich die Beeinträchtigung oder Behinderung im Studium auswirkt.

Neben dem Nachweis der länger andauernden gesundheitlichen Beeinträch­tigung müssen Studierende darstellen, wo und in welcher Weise sich die Durchführung des Studiums und/oder der Prüfungen infolge ihrer Beeinträchtigung oder Behinderung erschwert und sich dadurch Benachteiligungen gegenüber Mitstudierenden ergeben. Nur konkrete Teilhabe-Defizite können kompensiert werden.

Wie erfolgt die Beantragung? Welche Nachweise sind nötig?

Rechtzeitig Antrag stellen

Studierende, die Nachteilsausgleiche in Prüfungssituationen benötigen, sollten sich rechtzeitig vor der Prüfung mit dem zuständigen Prüfungsausschuss/Prüfungsamt, dem Prüfer oder der Prüferin in Verbindung setzen, um die Formalitäten zu klären. Dies gilt insbesondere, wenn die entsprechende Prüfungsordnung noch keine Prüfungs- und Stu­dienmodifikationen vorsieht. Das Recht auf Nachteilsausgleich bleibt davon unberührt.

Geht es um die Modifikation von Studienbedingungen, zum Beispiel die Verabredung eines individuellen Studienplans oder die Verlegung eines Praktikums, muss vorab geprüft werden, wer im Einzelfall für die Bewilligung dieser nachteilsausgleichenden Maßnah­men zuständig ist.

Beantragung und Gewährung von Nachteilsausgleichen in Prüfungen und bei Ab­schlussarbeiten erfolgen in der Regel als Verwaltungsakt. Studierende stellen den Antrag auf Nachteilsausgleich schriftlich beim Prüfungsausschuss oder Prüfungsamt oder anderen dafür bestimmte Stellen. Gegen eine Ablehnung kann Widerspruch eingelegt werden.

Bei der Antragstellung sind Fristen einzuhalten, die vor Ort erfragt werden müssen. Es sollte außerdem bedacht werden, dass die zuständigen Stellen Zeit für die Prüfung der Anträge, mögliche Rückfragen und unter Umständen die Anhörung von Experten brauchen. Auch die Realisierung beantragter Prüfungsmodifikationen ist unter Umständen mit zusätzlichem Zeit- und Organisationsaufwand für die Verantwortlichen in den Hochschulen verbunden.

Wenn allerdings prüfungsrelevante Einschränkungen kurzfristig und unvorhergesehen vor einer Prüfung oder während einer Abschlussarbeit auftreten, können und müssen Nachteilsausgleiche – sofern organisatorisch möglich – auch kurzfristig bewilligt werden.

Es kann sein, dass Studierende im Studium Leistungsnachweise erbringen müssen, für die der Prüfungsausschuss oder das Prüfungsamt nicht unmittelbar zuständig ist, sondern der jeweilige Dozent oder die Dozentin. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich besteht hier gleichermaßen. Die Absprache erfolgt dann direkt mit den Lehrenden. Bei Streitigkeiten sollten die oder der Behindertenbeauftragte und das Prüfungsamt oder der Prüfungsausschuss hinzugezogen werden.

Wichtig: Wenn es um die Erbringung von Leistungsnachweisen oder formale Verpflichtungen (beispielsweise Anwesenheitspflichten) geht, sollten Anträge auf Nachteilsaus­gleich immer schriftlich gestellt werden. Studierende sollten sich nicht auf mündliche Absprachen verlassen. Sie sollten nachfragen, wenn sie nach angemessener Frist keinen Bescheid erhalten haben.

Wer vergeblich auf einen Bescheid wartet, sollte die oder den Behindertenbeauftragte/n oder den Dekan/die Dekanin des Fachbereichs oder die Hochschulleitung um Unterstützung bitten. Es gibt einen Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich bei der Erbringung von studienbegleitenden und abschließenden Leistungsnachweisen.

Inhalt des Antrags: Auf die Nachweise kommt es an

Der Antrag auf Nachteilsausgleich ist in der Regel formlos zu stellen. Im Antrag müssen Studierende die gewünschten Prüfungsmodifi­kationen benennen und deren Erforderlichkeit begründen. Außerdem müssen sie die gesundheitliche Beeinträchtigung und deren konkrete prüfungsrelevante Auswirkungen durch geeignete Nachweise belegen.

Auch modifizierte Studienbedingungen – wie die Verlegung von Praktika oder Ausnahmeregelungen bei den Anwesenheitspflichten – sind rechtzeitig zu beantragen, zu begründen und durch geeignete Nachweise zu beglaubigen. Dafür eignen sich insbesondere ein oder mehrere der folgenden Belege:

  • (fach-) ärztliche Atteste und Stellungnahmen von approbierten psychologischen Psychotherapeuten und/oder
  • Behandlungsberichte von Krankenhaus- und Reha-Aufenthalten und/oder
  • Stellungnahmen von Reha-Trägern oder Bewilligungsbescheide von Trägern der Eingliederungshilfe,
  • Schwerbehindertenausweis bzw. Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes,
  • Stellungnahme der oder des Behindertenbeauftragten der Hochschule.

Es sollte daran gedacht werden, dass Dritte häufig keine einschlägigen Erfah­rungen und Vorkenntnisse haben und daher in die Lage versetzt werden müssen, die Sachlage anhand der eingereichten Unterlagen nachzuvollziehen und die vorgeschlagenen Maßnahmen zu prüfen. Deutlich werden muss der Zusammenhang zwischen gesund­heitlicher Beeinträchtigung und Studienerschwernis.

Wichtig: Ein „Schwerbehindertenausweis“ ist für die Beantragung von Nachteils­ausgleichen in Prüfungen und bei der Modifizierung von zeitlichen und formalen Vorgaben der Studien- und Prüfungsordnungen nicht erforderlich. Er allein begründet auch keinen Nachteilsausgleich. Auch der festgestellte Grad einer Behinderung ist für die Gewährung und Ausgestaltung von Nachteilsausgleichen im Studium und in Prüfungssituationen nicht ausschlaggebend.

Recht auf Nachteilsausgleich ohne Verankerung in Satzungen und Prüfungsordnungen

Mittlerweile haben Regelungen zum Nachteilsausgleich bei Prüfungen ihren Weg in viele Prüfungsordnungen oder Rahmenprüfungsordnungen gefunden. Anders bei den Nachteilsausgleichen zur Durchführung und Organisation des Studiums: Sie sind vielen Hochschulangehörigen  unbekannt und weit weniger häufig explizit in Satzungen und Ordnungen der Hochschulen verankert. Eine durchgehende Verankerung der Rechtsansprüche behinderter Studierender gibt es zum Beispiel in der Universität Hamburg.

Ein begründeter An­spruch auf Nachteilsausgleich entfällt deshalb nicht, denn Hochschulen haben  dafür zu sorgen, dass behinderte Studierende in ihrem Studium nicht benachteiligt werden (nach § 2 Abs. 4 HRG). Fehlende explizite Regelungen in Satzungen und Studienordnun­gen erschweren es Studierenden allerdings im Einzelfall, Ansprüche durchzusetzen.

Prüfungs- und sozialrechtliche Auswirkungen prüfen

Das Verschieben von Prüfungen, Unterbrechungen und Verlängerungen des Studiums können sich prüfungsrechtlich und sozialrechtlich auf unterschiedliche Weise auswir­ken. Beide Aspekte sollten vorab mit Hochschule oder der Sozialberatungsstelle des Studentenwerks abgeklärt werden.

Wann hat ein Antrag auf Nachteilsausgleich Aussicht auf Erfolg?

Begründungs- und Nachweispflicht der Studierenden

Nur wer sich gegenüber dem Prüfungsausschuss, Prüfungsamt, den Prüfer/innen oder anderen autorisierten Stellen zu den eigenen Beeinträchtigungen bekennt und die Auswirkungen nachvollziehbar beschreibt, kann einen Anspruch auf Nachteilsausgleich geltend machen. Damit ein Antrag auf Nachteilsausgleich geprüft werden kann, müssen die im Einzelfall erforderlichen Begründungen, Nachweise und Belege vorliegen.

Ermessensspielraum der Prüfungsämter, Prüfer und Prüferinnen

Die zuständigen Prüfungsorgane haben die Aufgabe festzustellen, ob ein Anspruch auf Nachteilsausgleich besteht, und sicherzustellen, dass die beantragten Nachteilsaus­gleiche im konkreten Fall erforderlich, geeignet und angemessen sind, um chancen­gleiche Prüfungsbedingungen zu realisieren.

Wenn beeinträchtigungsbedingte Benachteiligungen gegenüber den Mitstudierenden in Prüfungssituationen vorliegen, sind Nachteilsausgleiche zu bewilligen. Die angestreb­ten Modifikationen müssen gleichwertige Leistungsnachweise ermöglichen und mit den inhaltlichen Anforderungen der Studien- und Prüfungsordnung in Einklang stehen.

„Voller Nachteilsausgleich ja, Privilegierung nein“: Gemäß dieser Prämisse dürfen und müssen Prüfungsämter und Prüfungsausschüsse, Prüfer und Prüferinnen ihren Ermessensspielraum bei Entscheidungen über Nachteilsausgleiche nutzen.

Wichtig: Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten haben einen Anspruch auf Nachteilsausgleich. Es gibt keinen Anspruch auf eine bestimmte Form des Nachteilsausgleichs.

Nicht alle beeinträchtigungsbedingten Auswirkungen sind kompensierbar

Nicht alle studienrelevanten Auswirkungen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung können durch Nachteilsausgleiche kompensiert werden. Studierende müssen grund­sätzlich in der Lage sein, die in den jeweiligen Prüfungsordnungen geforderten Kom­petenzen zu erwerben und diese Kenntnisse durch Prüfungen nachzuweisen.

Das bedeutet: Form und Bedingungen des Erwerbs dieser Fähigkeiten sowie der Leistungsnachweise können unter bestimmten Voraussetzungen modifiziert werden, die Leistungsziele selbst sind dagegen zu erfüllen. In besonderen Fällen kann das bedeuten, dass eine Abänderung oder ein Ersatz einer Teilleistung nicht in Frage kommen, obwohl der oder die Antragstellende dies für notwendig erachtet. Das ist dann der Fall, wenn diese Teilleistung unverzichtbarer Bestandteil der Ausbildung ist und auch nach intensiver Prüfung nicht gleichwertig ersetzt werden kann.

Die Beurteilung des jeweiligen Sachverhalts und die Gestaltung angemessener Maß­nahmen ist entscheidend vom Einzelfall abhängig, insbesondere wenn sich Beeinträch­tigungen direkt auf die zu prüfenden Kenntnisse und Fähigkeiten auswirken können, wie es beispielsweise der Fall ist, wenn eine diagnostizierte Prüfungsangst zu Denkblockaden in Prü­fungen führt.

So hat zum Beispiel das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 8. Juni 2010 mit Verweis auf die Verpflichtung zur chancengerechten Ausgestaltung von Prüfungen in einem solchen Fall den Anspruch auf Nachteilsausgleich verneint, weil „bereits die Leis­tungsfähigkeit im Hinblick auf die geforderte Prüfungsleistung aufgrund in der Person des Prüflings liegender persönlichkeitsbedingter Einschränkungen dem Grunde nach vermin­dert ist“. (OVG NRW, Urteil vom 8.6.2010 – 14 A 1735/09). Das Gericht schließt dagegen nicht aus, dass die Beeinträchtigung im Einzelfall den krankheitsbedingten Rücktritt von einer Prüfung rechtfertigen kann.

Nachteilsausgleiche für Studierende mit Legasthenie und anderen Teilleistungsstörungen

Noch immer haben es viele Studierende mit Legasthenie und anderen Teilleistungsstörungen schwer, ihren Anspruch auf Nachteilsausgleich durchzusetzen. Erst langsam etablieren sich Routinen der Prüfungsmodifikationen für diese Studierendengruppe in Deutschland, die im angloamerikanischen Ausland seit Jahren obligatorisch sind. Aber auch Urteile deutscher Gerichte haben das Recht auf Nachteilsausgleich von Studierenden mit Legasthenie bereits bestätigt: ein Beispiel gibt der Beschluss des Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein 19.8.2002/ Az: 3 M 41/02

Warum ist die individuelle Beratung wichtig?

Für Studierende ist es oft nicht einfach, eigene Beeinträchtigungen anzuerkennen und sich Dritten gegenüber zu offenbaren. Häufig verzichten sie aus Angst vor Diskriminie­rung oder Scham auf ihren Anspruch auf Nachteilsausgleich. Andere riskieren ihren Studienerfolg, indem sie ihre Leistungsfähigkeit und die beeinträchtigungsbedingten Studienerschwernisse falsch einschätzen.

Viele daraus entstehenden Schwierigkeiten könnten vermieden werden, wenn Studierende von Anfang an besser über das Thema „Nachteilsausgleich“ informiert wären. Deshalb gilt: Studierende sollten möglichst frühzeitig Kontakt zu den Behindertenbe­auftragten und Beratungsstellen für Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten der Hochschulen oder Studentenwerke aufnehmen. Hier gibt es neben allgemeinen Informationen zum Thema Nachteilsausgleich bei Bedarf Beratung zu Art und Umfang der individuell notwendigen Prüfungs- und Studiengangmodifikationen und zum Beantragungsverfahren.

Kontakt zu den Behindertenbe­auftragten und Beratungsstellen

Wichtig: Die Beauftragten für Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten behandeln persönliche Angaben streng vertraulich. Studierende sollten das Thema „Datenschutz“ im Zweifelsfall ansprechen und sich erklären lassen, wie ihre Unterlagen behandelt werden.

Studierende wissen meist selbst am besten, wo Einschränkungen vorhanden sind und wie diese ausgeglichen werden können. Die Beauftragten können als Expert/innen die Argumentation stärken oder – falls angeraten – Alternativen entwickeln und im Gespräch mit den Prüfer/innen oder in einem Schreiben vorge­schlagene Maßnahmen unterstützen.

Wie die Datenerhebung „beeinträchtigt studieren“ (Berlin 2012) belegt, können Studierende, die qualifizierte Beratung zum Thema „Nach­teilsausgleiche“ nutzen, ihre Belange überdurchschnittlich gut durchsetzen.

Wie kann ein Antrag sinnvoll unterstützt werden?

Studierende als Experten in eigener Sache

Studierende sollten sich unter Umständen als Expert/in in eigener Sache anbieten, denn viele Dozent/innen können sich nicht vorstellen, auf welche Weise sich Beeinträchtigungen im Einzelfall auswirken und wie Behinderungen ausgeglichen werden können.

In vielen Fällen können durch Gespräche offene Fragen geklärt, Miss­verständnisse ausgeräumt und Ablehnungen vermieden werden. Die Behindertenbe­auftragten der Hochschulen unterstützen Studierende bei Bedarf.

Behindertenbeauftragte als Moderatoren

Gerade vor diesem Hintergrund ist es nicht nur für Studierende, sondern auch für Lehrende und Mitarbeiter/innen der Hochschulverwaltung wichtig, einen qualifizierten Moderator einzuschalten, der unter Umständen Prüfungsausschuss/Prüfungsamt oder die Hochschulverwaltung über die Notwendigkeit und Wirkungsweise bestimmter Modifikationen aufklären und die Rechtsansprüche konkretisieren kann.

Hier kann der oder die Behindertenbeauftragte der eigenen Hochschule wertvolle Unterstützung leisten. Gute Erfahrungen haben Hochschulen mit „runden Tischen“ gemacht, an denen je nach Thema der Fachbereichsdekan, Dozent/innen oder die Leitung des Studierendensekretariats oder BAföG-Amtes teilnehmen.

Hochschulleitung einbeziehen

Bei der Verabredung von Nachteilsausgleichen kann es zu Schwierigkeiten kommen, die trotz Verständigungsbemühungen nicht ausgeräumt werden können. In schwierigen Fällen sollten sich Studierende mit ihrem Anliegen und Bitte um Stellungnahme an die Hochschulleitung wenden. Eine juristische Klärung sollte nur als letztes Mittel in Frage kommen, wenn alle Möglichkeiten zur Einigung ausgeschöpft sind.

 

Weitere interessante Informationen:

Studieren mit AD(H)S: Geht das?

Drei Erfahrungsberichte

Meinungen darüber, wie AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) aussieht, gibt es viele. Aber was genau steckt hinter dem Syndrom und kann man damit erfolgreich studieren? Eine Expertin und drei (ehemalige) Studenten sagen eindeutig: ja, kann man – mit den richtigen Strategien.

https://www.unicum.de/de/studentenleben/zuendstoff/studieren-mit-adhs-geht-das

 

Nachteilsausgleich: Voraussetzungen - Fallgruppen - Rechtsprechung

Update von Annette Eiberle und Tobias Helmke vom 02.05.2019

Technische Universität München, Hochschulreferat Studium und Lehre - Rechtsangelegenheiten

Voraussetzungen - Fallgruppen - Rechtsprechung

(Fallgruppe ADHS: S. 17 bis S. 19)