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ADHS

von Dr. Astrid Neuy-Bartmann

Illustration: Lina und Bernd Herold
(wir danken dem ADHS Zentrum München für die Zurverfügungstellung der Zeichnungen).

Willkommen in der Welt der ADHS

ADS bedeutet Aufmerksamkeitsdefizitstörung, wobei das „H“ in AD(H)S für Hyperaktivität steht. Nicht jeder, der an einem ADHS leidet ist allerdings gleichzeitig hyperaktiv. Besser wäre die Schreibweise AD(H)S, weil die Hyperaktivität eine bestimmte Form des ADHS darstellt und es noch eine andere Form des ADHS gibt, nämlich den unaufmerksamen Typ. Mittlerweile hat sich aber ADHS als Oberbegriff eingebürgert und so wird dieser auch von uns verwendet. Früher bezeichnete man ADHS auch als Hyperaktivität oder hyperkinetisch.

ADHS ist keine Modeerkrankung und tritt auf der Welt fast überall gleich häufig auf. Allerdings wird ADHS heute häufiger diagnostiziert, weil Ärzte diese Symptomatik besser kennen und auch ADHS in den Medien häufiger besprochen wird. Ebenfalls ist die Anzahl der Behandlungsmöglichkeiten gewachsen, so dass jetzt auch mehr Kinder und Erwachsene mit dieser Problematik die Möglichkeit haben sich diagnostizieren und behandeln zu lassen. Natürlich haben wir auch eine „ADHS-Welt“, die aktuell geprägt ist von  Reizüberflutung, einem ständigen medialen Angebot und einem ausgeprägten Leistungsdruck in der Schule. Hinzu kommt, dass zunehmend Multitasking vorausgesetzt wird, um all die täglichen Anforderungen zu bewerkstelligen.
Je komplexer unsere Gesellschaft, je unstrukturierter der Tagesablauf, je größer die Reizüberflutung, desto deutlicher treten die besonderen Symptome der ADHS zu Tage. Außerdem zeigt sich ein zunehmender Zerfall von familiärem Gefüge, wie Großfamilien, die sehr viel mehr Möglichkeiten hatten schwierigen Kindern Halt und Ordnung zu geben. Eine allein erziehende Mutter mit ADHS-Kindern kommt meist unweigerlich an ihre Belastungsgrenze, weil sie nicht genügend Kraft und Kapazitäten hat, alleine die Erziehungskonzepte durchzuziehen, die bei ADHS-Kindern notwendig wären.

ADHS ist häufig -  4,4% der Erwachsenen haben ein ADHS, wobei ein Großteil der Betroffenen hierüber meist keine Kenntnis hat. Im Kindesalter tritt ADHS bei 3-7% der Kinder auf und stellt somit die häufigste seelische Erkrankung im Kindesalter dar.
Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen haben 50 - 60% der als Kind von ADHS Betroffenen auch im Erwachsenenalter noch deutliche Symptome und Lebensprobleme, die sich auf ADHS zurückführen lassen.

Grundsätzlich bedeutet das Vorliegen eines ADHS noch keine Erkrankung. Eine Behandlungsnotwendigkeit entsteht immer erst, wenn die auftretenden Symptome zu ernsthaften Störungen im Arbeitsbereich und im Sozialverhalten führen.
ADHS ist zunächst erst einmal eine besondere Art menschlichen Seins mit außergewöhnlichen Stärken, aber auch manchen Schwächen, die Betroffene erkennen sollten und gegen die es mittlerweile gute, erlernbare Strategien gibt. In ausgeprägten Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein. ADHS stellt eine Spektrumerkrankung dar, was bedeutet, dass es viele Menschen mit ADHS- Eigenschaften gibt, die hocherfolgreich sind und wenn sie die richtige berufliche Nische gefunden haben, dort auch Höchstleistungen erbringen können. Wenn wir den Fernseher anmachen, dann können wir bei Kenntnis der speziellen ADHS-Symptome eine ganze Menge Schauspieler, Politiker, Kabarettisten oder Künstler sehen, die eindeutige ADHS-Symptome haben, aber keinerlei Behandlung benötigen.

Fangen wir also vielleicht erst einmal mit den positiven Seiten der ADHS-ler an, denn ADHS nur als behandlungsbedürftige Störung zu begreifen, wäre zu kurz gegriffen. Tatsächlich wäre unsere Welt ohne ADHS ärmer, langweiliger, monotoner und spießiger. Gerade sie sind nämlich unsere Querdenker, unsere Erfinder, unsere Künstler und Revoluzzer, die selbstlos für Gerechtigkeit kämpfen können oder völlig neue Sichtweisen entwickeln. Sie sind oft mutig, unkonventionell, streiterfahren, unbeugsam, wenn sie von einer Sache überzeugt sind und sie können hartnäckig an einer Sache arbeiten, wenn sie daran wirklich interessiert sind. Sie können ungeheuer einfühlsam sein und eine prägnante Wahrnehmung haben. Es gibt unter ihnen unerschütterliche Weltverbesserer, einfühlsame Literaten, begnadete Sportler und Künstler, die mit ihrer Sicht der Dinge völlig neue künstlerische Wege beschritten haben. Durch ihre sprunghafte Art zu denken, können sie sehr intuitiv und kreativ sein und durch ihren häufigen Drang Fesseln, Regeln und Begrenzungen aufzuheben, können sie althergebrachtes in Frage stellen und sich kritisch mit aktuellen Lebensthemen auseinandersetzen. Sie sind in jedem Unternehmen gefragt, weil ihre unkonventionelle Art an Dinge heran zu gehen, so manche neue Idee geschaffen oder Vermarktungswege geöffnet hat, für die kein anderer den Mut gehabt hätte.
So weit zu den Stärken....

Wo Licht ist, ist auch Schatten und so ist es für ADHS-ler und deren Angehörige wichtig sich mit den Schattenseiten dieser besonderen Art zu sein auseinander zu setzen. Da Humor bei ADHS sehr wichtig ist, versuchen wir diese Schwächen auch mit viel Humor zu beleuchten. Lachen und Selbsterkenntnis ist kein Widerspruch!
Unerkannt kann sich ADHS wie ein roter Faden durch das Leben des Betroffenen ziehen und eine Ansammlung von Niederlagen und Misserfolgen bedingen.
Deshalb ist es wichtig ADHS zu erkennen, am besten schon in der Kindheit.

Die Symptome der ADHS:

Unkonzentriertheit und Unaufmerksamkeit:

Kinder und Erwachsene haben Schwierigkeiten längere Zeit ihre Konzentration  aufrechtzuhalten.  Sie lassen sich schnell ablenken, wechseln von einem Gedanken zum nächsten und verlieren ihr angestrebtes Ziel aus den Augen. Häufig fangen sie eine Sache an, springen dann auf eine andere und können oft auch Aufgaben nicht zu Ende führen. Man kann sagen, dass sie den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit nicht lange auf eine bestimmte Tätigkeit richten können, weil sie durch Kleinigkeiten ablenkbar sind. Sie verlieren so ihr Ziel immer wieder aus den Augen. Andererseits können sie sich sogar besser, als alle anderen Menschen konzentrieren, wenn sie an einem Thema brennend interessiert sind. Diese Tatsache ist oft für Mitmenschen und Lehrer sehr irritierend. ADHS-ler können sich hervorragend auf das konzentrieren, was sie spannend finden und so gar nicht auf das, was sie als langweilig erleben. Sie scheitern häufig an Flüchtigkeitsfehlern und Lehrer fragen sich immer wieder wieso es den Kindern nicht möglich ist konstante Leistungen zu erbringen

Motorische Unruhe:

Im Kindesalter zeigt sich diese Unruhe durch zappeln, wippen, herumlaufen, toben. Die Kinder finden oft auch nachts keine Ruhe und können dadurch Probleme haben einzuschlafen. Sie sind getrieben, immer auf Achse. Im Erwachsenenalter zeigen sich diese Symptome diskreter. Oft bemerkt man nur das nervöse Nesteln der Finger, oder dass sie ständig mit etwas herumspielen müssen. Häufig wird man, auch wenn man nicht betroffen ist, neben ihnen unruhig. Erwachsene haben besser gelernt diese hyperaktiven Symptome zu verbergen, aber wenn man sie danach fragt, dann beschreiben sie immer noch diese innere Getriebenheit und die Schwierigkeit nicht abschalten und entspannen zu können.

Hypoaktivität:

Dies ist eine Sonderform des ADHS, oft auch ADHS des unaufmerksamen Typs genannt, das bei Mädchen häufiger auftritt. Während die Hyperaktiven zu viel Energie haben, häufig zu schnell und ungestüm sind und sich ständig bewegen müssen, haben die Hypoaktiven genau die gegenteiligen Probleme. Sie sind langsam, umständlich, häufig energielos, verträumt, abwesend und sie können sich nur schlecht motivieren. Alles was bei Hyperaktiven zu viel ist, ist bei den Hypoaktiven zu wenig. Sie kommen nicht in die Gänge und brauchen oft ewig dazu eine Aufgabe zu lösen oder sich zu organisieren. Ansonsten gibt es aber bei den anderen Symptomen viele Überschneidungen. Im Erwachsenenalter zeigt sich meist ein Mischtyp aus hyperaktiven und hypoaktiven Anteilen. Auch kann der Typ der ADHS im Laufe des Lebens wechseln.

Chaos und Desorganisation:

ADHS-ler sind Meister in der Produktion des Chaos, wobei sie sich selbst nicht als die Verursacher wähnen, sondern eher als das Opfer unglücklicher Umstände. Kinder können in Sekunden ein aufgeräumtes Zimmer in eine Räuberhöhle verwandeln und es erscheint unmöglich für sie einzelne Arbeitsblätter in Hefter abzuheften und diese zu beschriften. Häufig haben sie sich so an das Chaos gewöhnt, dass sie es selbst gar nicht mehr wahrnehmen. Auch im Erwachsenenalter hält das Chaos an. So sind unter ihnen auch etliche Messies (Vermüllungssyndrom) - und dies ist nur allzu oft ein gut gehütetes Geheimnis. Wenn Frauen auf einmal nicht mehr im Beruf ein strukturiertes Arbeitsfeld haben sondern selbstbestimmt ihren Haushalt führen müssen, können sie zu wahren Chaosprinzessinnen werden. Das Chaos verstärkt sich noch einmal, wenn sie auch noch ADHS-Kinder haben. Sie haben Probleme tägliche aufzuräumen, Sachen wiederzufinden, Termine einzuhalten oder angefangene Sachen zu Ende zu bringen. Sie haben keinen Zeitplan und erledigen irgendwann, irgendetwas, irgendwie, meist völlig ungeordnet und auf den letzten Drücker.
Männer produzieren häufig Chaos, indem sie Berge auf ihrem Schreibtisch in den Himmel wachsen lassen und überall kleine Häufchen bilden, die jeden Tag größer werden. Die Organisationsfähigkeit ist stark eingeschränkt. Das gilt natürlich auch für Frauen im Arbeitsleben.

Impulsivität:

ADHS-ler sind emotionale und lebendige Menschen, wenn man das positiv ausdrücken möchte. Sie können aber auch zu wahren Rumpelstilzchen werden, wenn sie gestresst und gereizt sind. Bei diesen heftigen Gefühlsausbrüchen und emotionalen Entgleisungen sollten deren Angehörige am besten in Deckung gehen - da es sehr ungemütlich werden kann. ADHS-ler sind Meister darin ihre Gefühle in die Welt zu schleudern und die Vehemenz ihrer Gefühlsausbrüche auch ganz schnell wieder zu vergessen... war da was? Während andere sich um den emotionalen Scherbenhaufen kümmern und sich grämen, ist der ADHS-ler schon längst wieder guter Laune und versteht nicht, warum Mitmenschen so nachtragend sind. Er reagiert hart und heftig, aber dann ist die Welt wieder in Ordnung... zumindest die Seinige!
Manchmal sind es selbst Kleinigkeiten, die ihn zum Ausrasten und zu heftigen Wutanfällen verleiten können - das macht ihn so unberechenbar. Viele Angehörige fühlen sich gekränkt, verletzt und gestresst, weil sie mit der Heftigkeit der Gefühlsausbrüche nicht umgehen können.

Lina und Bernd Herold 1

 

Stimmungsschwankungen und Affektlabilität

ADHS-ler sind sehr dünnhäutig, verletzbar und empfindlich. Andererseits können sie sehr heftig auch auf kleine Auslöser reagieren. So schwankt ihre Stimmung von himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt und für Angehörige ist es oft schwer zu verstehen, warum aus nichtigem Anlass die Stimmung schon wieder entgleist ist oder warum durch kleine Kränkungen gerade wieder die Welt unterzugehen scheint.

Erstaunlicherweise kann dann aber die Sonne schnell wieder aufgehen, wenn Ablenkung oder eine Belohnung winkt. Während so manche Mitmenschen sich noch über die heftigen Gefühlsausbrüche der ADHS-ler Gedanken machen, haben diese schon wieder Spaß. Die meisten ADHS-ler reagieren nämlich heftig, aufbrausend und überschießend, aber haben sie erst einmal ihre Gefühle in die Welt geschleudert, dann geht es ihnen meist doch viel besser und sie haben ganz schnell diese Situationen wieder vergessen. So ist ihre Stärke, dass sie nicht nachtragend sind, ihre Schwäche aber daraus resultierend leider auch, dass sie oft so wenig aus Erfahrungen lernen, weil sie diese so schnell wieder vergessen haben. So sitzt der ADHS-ler auf einer gefühlsmäßigen Achterbahn, die er oft nur schwer steuern kann. Im Kindesalter zeigen sich häufig starke Wutausbrüche, Jähzorn oder aber auch heftige Weinanfälle. Dies kann dazu führen, dass sie in der Klasse in eine Außenseiterposition rutschen. Die unaufmerksamen ADHS-ler haben oft „nah am Wasser gebaut“ und sind sehr mitfühlend, schnell berührt und fassungslos, wenn sie selbst leiden oder sie andere leiden sehen. Im Erwachsenenalter sind sie häufig noch launisch, unberechenbar und aufbrausend.

Schwierigkeiten in der Schule oder am Arbeitsplatz

Durch die unorganisierte und chaotische Arbeitsweise haben ADHS-Kinder schon in der Schule Probleme. Sie vergessen ihre Hefte, haben eine unvollständige Heftführung, ihre Schrift ist häufig kaum lesbar und die Hausaufgaben sind auch nur in Teilen erledigt. Sie machen alles auf den letzten Drücker und bleiben so unter ihren Möglichkeiten. Sie sind oft sprunghaft und fahrig und ihre Konzentrationsstörung bedingt viele Flüchtigkeitsfehler. Es fällt ihnen schwer pünktlich und zuverlässig zu sein und sie vermeiden möglichst lange Tätigkeiten, die keinen Spaß machen. Sie sind schnell frustriert und arbeiten meist ohne Plan. Dieser Arbeitsstil wird oft auch noch im Erwachsenenalter beibehalten, was verständlicherweise zu Unmut und Missstimmung bei den Kollegen führt. So mancher ADHS-ler fühlt sich da an jedem Arbeitsplatz gemobbt, wenn nach einiger Zeit die Kollegen ihre Unterstützung einstellen und kein Verständnis mehr für deren unvollständige Arbeitsweise aufbringen.

Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen

Auch in der Partnerschaft macht ADHS erhebliche Probleme, denn auch hier ist der nicht betroffene Partner mit der Unzuverlässigkeit, den Stimmungsschwankungen und dem Chaos der ADHS-ler konfrontiert. Es belastet Partner, dass sie nie einschätzen können, was in den nächsten Minuten passiert, da die Verhaltensweisen der ADHS-ler häufig unberechenbar sind. Durch die Impulsivität kann es zu unbeabsichtigten Verletzungen und Endlosdiskussionen kommen und ADHS-ler sind wahre Meister in Diskussionen, weil sie kämpfen können bis zum Umfallen und immer Recht haben wollen. Schon Eltern können ein Lied davon singen, wie lange es ADHS-Kinder aushalten, darüber zu diskutieren, ob es sinnvoll ist Teller in die Spülmaschine zu räumen. In der gleichen Zeit hätten sie spielend drei Maschinen gefüllt. Der ADHS-ler hat aber große Probleme mit der Erledigung der täglichen Pflichten, mit Struktur und Ordnung und dem Einhalten von Regeln. Und er ist auch Meister darin sich vor den Unannehmlichkeiten des Lebens zu drücken.

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Selbstzweifel

ADHS-ler erleben im Laufe ihrer Entwicklung viele Misserfolge und Niederlagen. So haben sie häufiger schlechtere Noten geschrieben oder es ist ihnen in einer Prüfungssituation nicht gelungen auf das Gelernte zuzugreifen. Sie sind meist unter ihren eigenen Möglichkeiten geblieben und sie haben auch viel Kritik, manchmal auch Spott und Schadenfreude anderer einstecken müssen. Da sie mit ihrer Impulsivität häufiger auch Lehrer oder Eltern provoziert oder trotzig sich gegen Regeln aufgelehnt haben, sind sie selbst auch Angriffsfläche und Zielscheibe anderer geworden und sie mussten so auch öfter Ungerechtigkeiten einstecken. Viele ADHS-ler haben sich durch ihr problematisches Verhalten auch selbst ins Abseits oder in eine Außenseiterposition manövriert und so erlebten sie es, dass sie seltener zu Kindergeburtstagen eingeladen oder aber von anderen abgelehnt wurden.
Die Hypoaktiven unter ihnen hatten Schwierigkeiten sich durchzusetzen und sich gegenüber anderen zu behaupten. Vor allem die hypoaktiven Mädchen können sich in ihre eigenen Welten zurückziehen, vor sich hinträumen oder in eine andere Welt beamen, in der es ihnen vermeintlich besser geht. Auch sie können zu Mobbing-Opfern werden, weil sie sich nicht ausreichend wehren und abgrenzen können. Diese negativen Erfahrungen sind nicht dafür geeignet ein stabiles Selbstwertgefühl im Erwachsenenalter zu entwickeln. Auch haben ADHS-ler immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sie vergesslich und chaotisch sind und andere ihre Leistungen bemängeln.

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Vergesslichkeit

Das Arbeitsgedächtnis der ADHS-ler ist beeinträchtigt und so ist es für Betroffene oft schwer sich Lernstoff oder Aufgaben, die erledigt werden müssen, zu behalten. Es fällt ihnen irgendwann ein, aber dann ist der Termin vorbei und das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Viele ADHS-ler lesen Bücher oder Zeitungsartikel und wissen nachher nicht mehr, was sie überhaupt gelesen haben. So manche ADHS-ler verbringen am Tag Stunden damit ihre Brille, ihre Schlüssel oder wichtige Unterlagen zu suchen.

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Motivationsprobleme

ADHS-ler besitzen einen riesigen inneren Schweinehund, denn es fällt ihnen ganz schwer sich zu motivieren und in die Gänge zu kommen. Kinder können Löcher in die Luft starren und lieber 10 mal aufs Klo gehen, bevor sie ihre Hausaufgaben anfangen und Erwachsene spielen häufig lieber Computer oder jetten im Internet, statt wichtige Aufgaben zu erledigen. Auch im Erwachsenenalter können ADHS-ler wie kleine Kinder sein, indem sie sich vor unangenehmen Aufgaben drücken und lieber herumspielen. Viele ADHS-ler berichten, dass sie große Schwierigkeiten haben mit Aufgaben zu beginnen.

Ursachen der ADHS

ADHS ist eine neurobiologische Störung, die mit einer Veränderung der Gehirnhormone einhergeht und hier sind besonders die Gehirnhormone Noradrenalin und Dopamin betroffen. Mit wissenschaftlichen Untersuchungen (Kernspintomographie, SPECT und PET) konnte nachgewiesen werden, dass ADHS-ler neurochemische und neurobiologische Besonderheiten aufweisen. So fand man heraus, dass in den vorderen Hirnabschnitten bei ADHS weniger Blutzucker verbraucht wird und auch das Gehirn weniger durchblutet wird. Weiterhin konnte man eine Erhöhung des Dopamintransporters finden und eine genetische Veränderung im Dopamintransportergen, was beides einen schnelleren Abbau von Dopamin im Gehirn zur Folge hat. Auch zeigte sich eine geringere Aktivierung der rechten vorderen Hirnregionen.
Durch Zwillingsuntersuchungen konnte die Erblichkeit von ADHS eindeutig belegt werden. Eineiige Zwillinge mit dem gleichen Erbgut erkranken in 60-80% der Fälle gleichzeitig, während zweieiige Zwillinge mit unterschiedlichem Erbgut nur zu 35% gleichzeitig erkranken. Dies ist ein Beleg für einen großen erblichen Anteil an der Entstehung der ADHS. Auch Eltern und Geschwister von Betroffenen haben eine 5-mal höhere Wahrscheinlichkeit ein ADHS zu haben, als die Normalbevölkerung.
Auch Adoptionsstudien sprechen für den großen Einfluss der Genetik, denn leibliche Eltern von ADHS-Kindern sind deutlich häufiger betroffen als deren Adoptiveltern.

In einzelnen Fällen sind Zusammenhänge mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten festgestellt worden (siehe hierzu die gesonderten Informationen)

Psychosoziale Faktoren:

Neben neurobiologischen und neurochemischen Faktoren können psychosoziale Faktoren den Verlauf der ADHS deutlich beeinflussen.
So gibt es so genannte protektive Faktoren, die den Verlauf der ADHS positiv beeinflussen können. Hierzu gehört ein verständnisvolles und liebevolles, aber klar strukturiertes Elternhaus, in dem eine konsequente und berechenbare Erziehung erfolgt. Hierzu gehört weiterhin eine frühzeitige Diagnosestellung mit einer störungsspezifischen Behandlung, Verständnis und Unterstützung. Hilfreich ist es weiterhin wenn dem Kind spezielle Hilfen wie Nachhilfe, besondere Förderung seiner Interessen und Neigungen, diverse Sportangebote zur Verfügung gestellt werden können. Die Möglichkeiten von räumlicher Distanzierung durch große Wohnungen, ausreichender Bewegung und schulische wie auch emotionale Unterstützung durch die Eltern darf nicht unterschätzt werden.
Ein erhöhtes Risiko für eine Verstärkung der bestehenden ADHS-Symptomatik zeigt sich bei kontrollierendem, zwanghaftem oder inkonsequentem Erziehungsstil und bei Überforderung der Eltern. Besonders negativ kann sich die eigene ADHS-Betroffenheit der Eltern auswirken, wobei sich dann Betroffene in ihrer ADHS wie Impulsivität, Desorganisation und Stimmungsschwankungen gegenseitig verstärken können. Besonders problematisch wird es, wenn ein Elternteil oder beide zusätzlich Suchtprobleme entwickeln, die bei ADHS häufig sind. Als weitere negative Faktoren sind niedriger sozialer Status, geringere Erfolgserlebnisse, häufige Kritik und Kränkungen von Seiten der Eltern, häufigere Bestrafungen und seltenere Belohnungen zu nennen. Durch die Symptome der ADHS kommt es auch häufiger zu einer gestörten Eltern-Kind Beziehung, insbesondere dann, wenn das ADHS nicht erkannt wird und Eltern das Verhalten ihrer Kinder als ausschließlich trotzig und auflehnend deuten. In ADHS-Familien kommt es auch häufiger zu Gewalt und Ehescheidungen.

ADHS als Familienerkrankung

Grundsätzlich kann man sagen, dass das Familienleben umso problematischer wird, je mehr Mitglieder von ADHS betroffen sind. Aufgrund der Dünnhäutigkeit der ADHS-ler reagieren sie sehr heftig auf kleinste Kränkungen, häufig auch unangemessen und überschießend, was bei dem anderen ebenfalls betroffenen Familienmitglied wiederum eine ähnliche Reaktion hervorruft. So gleicht dann häufig eine ADHS-Familie einem Pulverfass, das in nicht berechenbaren Abständen immer wieder explodiert und  wo jedes Familienmitglied mit den eigenen heftigen Gefühlen, die Gefühle der anderen auch wieder anheizen und provozieren kann.

Gerade Eltern, die ebenfalls von ADHS betroffen sind, fällt es besonders schwer ihren Kindern Struktur und Halt zu geben, ebenso wie Sicherheit, Geborgenheit und Verlässlichkeit. Betroffenen Erwachsenen fehlt häufig auch selbst das Verständnis für ihr eigenes problematisches Verhalten.
ADHS-Kinder brauchen klare Regeln und Strukturen, sowie konsequente und klare Anweisungen, deren Ausführungen von den Eltern auch immer wieder kontrolliert werden sollten. Eine lasche und gleichgültige Erziehung, in der das Kind keine Grenzen erfährt und auch sein Verhalten nicht gespiegelt bekommt, wirkt sich negativ auf die ADHS-Problematik aus.
Es darf auch nie vergessen werden, dass Eltern immer Vorbildfunktion haben und letztlich das vorleben sollten, was sie von ihren Kindern an Verhalten einfordern. Eltern, die ebenfalls von ADHS betroffen sind, fällt es besonders schwer gelassen, konsequent und eindeutig Grenzen zu setzen, denn genau das können sie ja auch nicht in ihrem Leben. Weiterhin ist es für sie oft auch schwierig eigene Ordnungsstrukturen zu entwickeln und den Kindern Selbstorganisation beizubringen. Eltern können nur Kindern das wirklich vermitteln, was sie selbst beherrschen. Ein erhöhter Medien- und Fernsehkonsum trägt auch zu einer Verschlechterung der ADHS-Problematik bei. Ein Risikofaktor ist ebenfalls das Leben in einer Großstadt und dies wohl aufgrund der geringeren Möglichkeiten sich zu bewegen und auszutoben. Wenn Mütter in der Schwangerschaft trinken und rauchen, tritt ADHS ebenfalls häufiger auf, ebenso wie bei Frühgeburten und geringerem Geburtsgewicht. ADHS ist somit eine komplexe Symptomatik, die zwar einerseits genetisch bedingt ist, aber von psychosozialen Faktoren, ebenso wie von Umweltfaktoren und Erziehungsstilen beeinflusst wird.

ADHS und gesellschaftliche Problematik

Die gesellschaftliche Dimension von ADHS ist bisher in all ihren Facetten noch gar nicht ausreichend untersucht. Hier bedarf es dringend weiterer Studien. Wir wissen, dass im Erwachsenenalter ADHS ein Risikofaktor für die meisten seelischen Erkrankungen wie Depressionen, Ängste, Suchtentwicklung etc. darstellt.
ADHS-ler haben meist auch schlechtere Schulabschlüsse und wechseln Arbeitsstellen häufiger. Aufgrund der Auswirkungen der ADHS im Arbeitsverhalten sind ADHS-ler auch öfter von Kündigungen und Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Auch werden sie häufiger Mobbing-Opfer. Viele haben Schwierigkeiten ihren Platz in einem Team zu finden und die an sie herangetragenen Aufgaben zuverlässig, rechtzeitig und vollständig zu erfüllen.
Auch die Trennungs- und Scheidungsrate ist deutlich erhöht, da ihre soziale Kompetenz auch im Erwachsenenalter noch deutlich eingeschränkt sein kann.
Auch im Erwachsenenalter haben sie durch Risikoverhalten, durch das Ausüben von Extremsportarten oder impulsiven Handlungen ein höheres Risiko zu verunfallen, dies auch mit tödlichen Folgen. Auch die Suizidrate ist bei ihnen erhöht. Sie fahren häufiger riskant Auto und sie sind auch wegen ihrer Konzentrationsstörungen häufiger in Unfälle verwickelt.
Oft fehlt ihnen der Überblick über ihre Finanzen und sie tätigen Spontankäufe ohne die Konsequenzen abzuwägen. Aus diesem Grund sind viele Erwachsene auch häufig überschuldet.
Ein kleiner Teil der ADHS-ler nimmt eine dissoziale Entwicklung, die in Kriminalität und Drogenabhängigkeit münden kann.